Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
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In seinem Werk „Vom großen Leben“ hat Richard Benz2 Wilhelm Heinses literarische Leistung gewürdigt: „Die Aufzeichnungen, die Heinse überall an Ort und Stelle machte, die Briefe, die er auf der Reise an Gleim und Jacobi schrieb, lassen uns seinen Weg, dessen Hauptstationen, innerlich stärker miterleben als bei irgend einem anderen. Seinen Kunst der Landschaftsschilderung steht jetzt im höchsten Flor und hat in deutscher Prosa kaum ihresgleichen. Ein Dithyrambus [Anm.: Lob-, Festlied] wie der auf den Rheinfall zu Schaffhausen steht in aller Literatur einzig da, und die Schau des Hochgebirges, wie er sie vom Rigi, auf dem Gotthard, auf Furka und Grimsel erlebt, hat er überhaupt als der erste dichterisch festgehalten“. A. Zippel beschreibt Heinses Gedanken und Empfindungen beim Anblick der Hochgebirgslandschaft sehr anschaulich:

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1 Zippel, Albert: Wilhelm Heinse und Italien. Jena 1930
2 Benz, Richard: Vom großen Leben. München 1943

„ Der Alpenpatriarch Gotthard spricht zu ihm und predigt ihm das Evangelium der Natur. Aber nicht nur in „unaussprechlich schöner Gestalt voll grauser Majestät“ sieht er die Berge, auch aus weniger erhabene Geister stellt er sie sich vor. Zitat Wilhelm Heinse: „Das Schreckhorn sieht aus mit seinem zurückgebogenen Felsen oben drauf voll Eis wie ein besoffener Tamerlean unter den Geistern, der auf einem Gebürge ritt“. Und auch erotische Assoziationen bleiben nicht aus: „Das Jungfernhorn liegt recht da wie eine glatte, schneeweiße Marmorbrust. Ihr Herz war so kalt wie die Eisbrust auf dem Jungfrauenberg bei Lauterbrunn“. Auch die folgenden Ausführungen über Goethe sind sinngemäß und
in wörtlichen Zitaten dem Werk von Albert Zippel „Wilhelm Heinse und Italien“
entnommen.
Natürlich hat auch Johann Wolfgang Goethe die Alpen bereist und sie viermal in seinem Leben gesehen. Doch unterschiedliche Beweggründe und Interessen führten Heinse und Goethe nach Italien: „ Goethe zog nach Italien, um „die große Kunst“, die Form zu suchen, Heinse wanderte über die Alpen, um das Leben in seinen höchsten Erscheinungen sich eigen zu machen“. Der junge Goethe von 1775 spürt wie Heinse, daß „vor der glänzenden Krone der ewigen Schneegebürge...und deiner Wolkenfelsen und wüsten Täler, grauer Gotthard!wie vor jedem großen Gedanken der Schöpfung“ in der Seele rege wird, „was auch Schöpfungskraft in ihr ist“. Vier Jahre später, ein Jahr vor Heinse, durchzieht er wieder die Schweiz, diesmal als frischgebackener „Herr Geheimderath“.
„Vier Jahre Weimar, das heißt vier Jahre der Klärung stürmischen Jugendüberschwanges, liegen schon hinter ihm. Das spüren wir auch in den Briefen und Tagebüchern der Reise von 1779. Kein Alpenrausch mehr, aber ein tiefes Verstehen der Schönheit der Bergwelt. Goethe schildert nicht mehr das Wilde, Grausige der Alpen, sondern unter dem „klaren und heitern Himmel“ schaut er „die ganze reine Reihe aller Schnee- und Eisgebürge“. Sieben Jahre später fährt er auf dem Wege nach Italien wieder durch die Alpen. Er trat die Reise an, um die „große Kunst“ zu finden, und so tritt die Natur der Kunst gegenüber zurück.
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J.J.Wilhelm Heinse
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