Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
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Brief Wilhelm Heinses vom 9.10.1768 an Direktor Walch - Gymnasium Schleusingen
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An Walch

Hochedelgebohrner und hochgelehrter Herr!

Ich bin seit Ostern in Erfurth, wie Sie schon wissen werden, verzeyhen Sie mir es, daß ich Ihnen noch nicht geschrieben habe, verschiedene Ursachen haben es zu thun verhindert. Vorgestern besuchte mich der Herr von Ilden wider Vermuthen, er wird so gütig seyn und Ihnen den Brief überbringen. Seine Absicht ist die englische Sprache hier zu lehren, es fehlt noch ein Mann, der eine solche kritische Kenntniß derselben besizt. Zwar sind noch Schottenmönche hier, die alle gebohrne englische Edelleute sind, allein die müßen beten und sich nicht um weltliche Dinge bekümmern. Der Herr von Ilden hat mit ihnen gesprochen, und sie hielten ihn für eine gebohrnen Engländer, biß er sich zu erkennen gab. Er ist auch bey dem Stadthalter gewesen und deßen Vättern, Riedel, Meusel und Herel wollen die englische Sprache bey ihm lernen, ob sie gleich schon einige Kenntnisse derselben besizen; und für mich, Gleichmannen, Linken und Herrn Scherfen ist es eine längst gewünschte Gelegenheit; Schleusingen verliehrt einen Mann, deßen Verdienste es bißher noch nicht kannte, und nicht zu gebrauchen wuste; nie war er mir so liebenswürdig, nie kannte ich seinen Charakter von einer solchen Seite. Erfurth ist für mich ein Ort, wo ich im philosophischen Verstande leben kan; der Auffenthalt daselbst ist für mich voll Vergnügen und Wollust und selbst die Gratien und Musen konnten mich an keinen beßern Ort führen; Hier bin ich im Zirkel meiner Freunde, die selbst Anakreon nicht beßer würde wählen können. Ich wohne bey Herrn Gleichmannen auf einer Stube, er hat seinen Charakter umgebildet, wo er fehlerhafft war, im übrigen ist er der alte Gleichmann noch immer. Die hiesige Akademie ist blühender, als sie es iemahls gewesen ist, es sind schon auf 3 biß 400 Studenten hier, und wir erwarten noch diesen Winter eine große Vermehrung. Ich und Gleichmann arbeiten an einigen Monathsschrifften mit und bekommen für einen Bogen einen Ducaten, wir haben es der Vorsorge des Herrn Riedels zu verdanken. Ich habe Ihre Recensionen in der allgemeinen teutschen Bibliothek mit vielen Vergnügen gelesen. Die Starkische Komödianten Bande wird diesen Winter hier spielen. Es fehlt also nichts von den Eigenschaften einer wohleingerichteten Akademie.

Ich bin Ew. Hochedelgebohrnen gehorsamster Diener

                                                             W. Heinse.

Erfurth den 9ten October [1768]
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Transkript des Heinse-Briefes

aus >>Wilhelm Heinse Sämmtliche Werke. Herausgegeben von Carl Schüddekopf, Leipzig , im Jahre 1904. Briefe. Erster Band. Bis zur italiänischen Reise. Der Gesammtausgabe neunter Band.<<
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J.J.Wilhelm Heinse
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