Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
Seite
vor
zurück
"Alle Kunst ist Darstellung eines Ganzen für die Einbildungskraft."
"Die Bildhauerei und Malerei stellt Oberflächen von Körpern dar; die letztere insoweit sie sich durch Farben zeigen."
"Ohne Wahrheit der Farbe kann keine Malerei bestehen; eher aber ohne Zeichnung."
Diese und ähnliche Kunsturteile lassen ein genial-intuitives Sehvermögen erkennen und stellen gewissermaßen den Beginn moderner Kunstbetrachtung dar.
Der zähe, durch ein unglückliches Duell erzwungene Aufbruch Ardinghellos von Rom beendet diese theoretischen Aussagen. Sein abenteuerliches Leben geht weiter und gipfelt in der Gründung der "glückseligen Inseln", eines utopischen Idealstaates, in dem Frauengemeinschaft und freie Liebe herrschen und dessen Grundsatz lautet: "Kraft zu genießen, oder welches einerlei ist, Bedürfnis, gibt jedem Dinge sein Recht."

Die Möglichkeit eines irdischen Paradieses ist "das unerhört Neue nach all den pessimistischen Lebensbildern des Sturm und Drang und der Frühklassik" (Borcherdt). Daß der Held verschiedene Stationen durchläuft, verführt dazu, den Ardinghello als Bildungsroman zu bezeichnen, der er nicht ist, denn sein Held macht keine Entwicklung durch. Der Roman bleibt vielmehr Ereignisroman, auch wenn der Handlungsreichtum des Anfangs immer mehr didaktischen Erörterungen weichen muß. Der Wert, des Werkes beruht wesentlich auf drei Momenten: der neuartigen Kunstphilosophie, der Entdeckung Italiens als romantischer Landschaft, deren Formen wie "Symbole des ewigen Lebens" erscheinen, und dem an Rousseaus Begriff des natürlichen Idealbild eines Menschen. Goethe lehnte das Buch seiner unverhüllt hedonistischen Gesinnung wegen ab; für Schiller war es "ohne ästhetische Würde", ein Beispiel " des beinah poetischen Schwungs, den die bloße Begier zu nehmen fähig ist".

Für Heinse aber verschmolzen Kunst und Sinnlichkeit zu einer Erlebniseinheit. Für ihn, dem die Renaissance der Medici und Borgia als das Zeitalter einer Herrenmoral erschien, steht die Kunst da am höchsten, "wo Menschen am mehrsten leben und genossen".


Ausgaben: Lemgo 1787, 2 Bde. - Lpzg. 1902 (in SW, Bd. 4,
Hg. C. Schüddekopf ) . - Ffm. 1962 (Bibl. d. Romane, Nachw. E. Hock).
Literatur:
W. Brecht, H. u. d. ästhet. Immoralismus, Bln. 1911. -
B. v. Wiese, H.s Lebensansch. im "Ardinghello" (in ZfdU, 45, 1931,
S, 42 - 52).-
E. Liedl, H.s Italienerleben vergl. m. d. Goethes, Diss. Wien 1948. -
H, H. Borcherdt, Der Roman d. Goethezeit, Stg. 1949. -
E. E. Reed, The Transitional Significance of H.s "Ardinghello" (in MLQ,
16, 1955, S. 268 - 273). - P. Grappin, "Ardinghello" u. "Hyperion"
(in Weim. Beiträge, 2, 1956, S. 165 - 181)
vor
zurück
wilhelm_heinse001014.jpg wilhelm_heinse091003.jpg wilhelm_heinse004004.jpg wilhelm_heinse091002.jpg wilhelm_heinse001008.jpg wilhelm_heinse001012.jpg wilhelm_heinse046002.jpg wilhelm_heinse046003.jpg wilhelm_heinse001010.jpg wilhelm_heinse001009.jpg
J.J.Wilhelm Heinse
wilhelm_heinse001001.jpg