Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
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Die glückseligen Inseln sind kein Ort des Elysiums6 ohne schöpferische Tätigkeit seiner Bewohner. Große Aufgaben stehen bevor. Marmor ward gebrochen zu Tempeln, öffentlichen Palästen und Versammlungshallen. „Das alte Athen unter dem Perikles schien wieder aufzuleben.“ Ardinghello wird Sonnenpriester, denn als Freigeist hat er an Stelle des Christentums die Verehrung der Natur
nach dem Vorbild griechischer Naturphilosophen eingeführt.
„Kurz, wir kamen beieinander, so verschieden auch mancher vorher dachte, in folgenden Grundbegriffen überein: Kraft zu genießen, oder, welches einerlei ist, Bedürfnis, gibt jedem Dinge sein Recht, und Stärke und Verstand, Glück und Schönheit den Besitz. Deshalb ist der Stand der Natur ein Stand des Krieges. Das Interesse aller, die sich in eine Gesellschaft vereinigen, bildet darauf Ordnung, stiftet Gesetze und innerlichen Frieden; alles richtet sich dabei, wie bei jedem anderen lebendem Ganzen, immer nach den Umständen. Der beste Staat ist, wo alle vollkommene Menschen und Bürger sind; und diesem folgt, wo die mehrsten sind. Hier wird kein Nero gedeihen!
Derjenige Mensch und Bürger ist vollkommen, welcher seinen und seines Staates Rechte kennt und ausübt. Jedes hat fürs erste das Bedürfnis zu essen, zu trinken, mit Kleidung und Wohnung sich zu schützen und zu sichern, die Wahrheit von dem Notwendigen einzusehen und, wenn es mannbar ist, das der Liebe zu pflegen. Vermag es nicht, sich dieses friedlich zu verschaffen, so darf es dazu die äußersten Mittel brauchen; denn ohne dasselbe erhält es weder sich noch sein Geschlecht ... Der starke und tapfere hat zu mehrerm Recht, eben weil er weitre Bedürfnisse hat. Das beste Instrument gehört dem besten Virituosen, das königliche Roß dem mutigsten und geübtesten Bereiter ...
Wirkliche (nicht bloß eingebildete und erträumte) Glückseligkeit besteht allzeit in einem unzertrennlichen Drei: in Kraft zu genießen, Gegenstand und Genuß. Regierung und Erziehung soll jedes verschaffen, verstärken und verschönern."
Max. L. Baeumer entwirft im Nachwort zur Ardinghello-Ausgabe, Stuttgart 1992, nachfolgendes Bild des Ardinghello (Auszüge):
Die den größeren Teil des Romans einnehmenden Kunstgespräche, Gemäldebeschreibungen und philosophisch-religiösen Ausführungen sind nicht planlose Ausweitungen, sondern die eigentlich wesentlichen und integrierenden Bestandteile, zu denen die Geschichte Arding-hellos mehr wie ein Rahmen, das Gerüst und ebenso die lebendige Einheit einer Handlung gibt. Die Romanhandlung läuft, zusammen mit dem ,,methaphysischen“ All­-Einheitsge-spräch, symbolhaft in utopischen Idealvorstellungen aus. Die Kunstgespräche stehen unter dem verbindenden und fortschreitenden Thema des 18. Jh. über die Eigenart und Grenzen der Malerei, Bildhauerkunst und Poesie und sind im einzelnen eine kritische Ausein-andersetzung mit den Auffassungen Lessings und Winckelmanns. Die Gemäldebeschrei-bungen geben jeweils, wie im geringeren Maß auch die Natur- und Liebesschilderungen, lebendige Beispiele zu den theoretischen Eröterungen und Grundsätzen...
Der Ardinghello ist kein Entwicklungs- oder Bildungsroman seelischer Reifung und Entfaltung, sondern ein Roman gelehrten Wissens, gelehrsamer Diskussion und ästhetischer Bildung, vermischt mit sensualistischen Erlebnisschilderungen. Er ist weniger ein Künstler- als vielmehr ein Kunstroman. Er ist kein sozialpolitischer oder Verwirklichung fordernder, utopischer Staatsroman noch ein historischer Renaissanceroman.
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1 Genre-Mensch ist ein Alltagsmensch 2 Medici ist ein geadeltes italienisches Kaufmannsgeschlecht vom 13.-18.Jh.
3 Renaissance: wörtl. ,,Wiedergeburt“, Kulturrichtung zw. Mittelalter u. Neuzeit. 4 Hetäre: griech. ,,Gefährtin“, in der Antike hochgebildete, einflußreiche Geliebte. 5 Polisrepublik: altgriechischer Stadtstaat 6 Elysium: Land der Seligen in der Unterwelt (aus der griech. Mythologie)
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J.J.Wilhelm Heinse
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