Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
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An anderer Stelle sagt er: Sie haben allerei Blendwerk von Beschönigung ausersonnen, worunder das Täuschendste ist, dem Staate Ruh und Ordnung zu verschaffen und behende Stärke zu geben. Sie stellen sich an, als ob sie nur dessen erste Diener wären und große Lasten auf sich trügen. Wie ist aber einer Bedienter, dem niemand befiehlt, der keinen Herrn über sich erkennt! Wie ist einer Bedienter, der nach Gutdünken Gesetze macht und gibt und keins annimmt? nach Willkür ohne Gesetz straft? gesetzt auch Ruh und Ordnung. ist dies Glückseligkeit? Im Kerker ist auch Ruh und
Ardinghello führt weiter aus:
,,Es bleibt uns nichts anderes übrig, nachdem der eiserne Arm mit Gericht und Beil über uns vereinzelten, bunten Haufen schwebt, der sich nicht mehr vereinigen kann, als daß einer des andern innerliche Kraft im Vertrauen klüglich anrege und wenigstens den einen großen Grundsatz auf die sinnlichste Weise ausbreite, daß der Staat der beste sei, wo alle überhaupt und die Bessern und der ausbündig Vortreffliche bei den Vorfallenheiten ihre Rechte genießen. und daß man dabei nicht allein auf glücklichere Zeiten hoffe, sondern dieselben herbeileite."
Hier entwickelt Heinse seine Auffassung von der bürgerlichen Demokratie, die er nicht in der formalen Gleichheit ihrer Bürger sieht, sondern in einer Gesellschaft, in der durch Anlagen, Fähigkeiten und anderen persönliche Vorzüge ausgezeichneten Individuen sich verwirklichen können. Der Renaissancemensch strebte nach Selbstverwirklichung,, vertraute ganz auf seine individuellen Kräfte und Fähigkeiten zur vollen Entfaltung seiner Persönlichkeit.
Ardinghello lernt eine Römerin, Fiordimona, kennen, eine emanzipierte Frau, die sich gegen die konventionelle Moralvorstellungen auflehnt. Sie lehnt die Ehe grundsätzlich ab, fühlt sich dem Manne gegenüber gleichwertig und gleichberechtigt. Sie ist schön. gebildet, sportlich und künstlerisch begabt. Sie verkörpert das Ideal der freien Liebe in einer Gesellschaft, die sich von allen konventionellen Zwängen und Schranken befreit hat:
"Ein Frauenzimmer ist unklug, das mit einer Gestalt, die gefällt, erwuchs und Vermögen besitzt, wenn es sich das unauflösliche Joch der Ehe aufbinden läßt. Eine Göttin bleibt es, unverheiratet, Herr von sich selbst, und hat die Wahl von jedem wackeren Manne auf, solange es will. Es lebt in Gesellschaft mit den Verständigsten, Schönsten, Witzigsten und Sinnreichsten; erzieht seine Kinder mit Lust, als freiwillige Kinder der Liebe; erhöht sich zum Manne: da es hingegen im Ehestande wie eine Sklavin weggefangen worden wäre."

Der Roman endet folgerichtig in einer Utopie. Da sich das Ideal des freien Menschen in einer Gesellschaft in Italien des 16. Jh. nicht verwirklichen läßt, sieht Ardinghello sein Lebensziel darin, zusammen mit seinen Freunden und Freundinnen auf den glückseligen Inseln Naxos und Paros im Ägäischen Meer den Idealstaat zu gründen, in dem sie ihre Vorstellungen verwirklichen können.
Die Aufgabe des neu zu schaffenden Idealstaates ist es, die griechische Polisrepublik5 zu neuem Leben zu erwecken. Eine radikale politische Demokratie, die Aufhebung der Klassen. Gleichheit des Besitzes und Gütergemeinschaft bilden die Grundlage des Heinseschen Utopie. Im Gegensatz zu anderen Sozialutopien befindet sich die Inselkolonie auf einer niedrigen ökonomischen Stufe. Hier wird noch Piraterie betrieben; die Bürger schämen sich nicht, sich am Sklavenhandel zu beteiligen..
Im Inselstaat herrschen Ehelosigkeit. völlige Gleichberechtigung in der Liebe. Die Frauen besitzen aber nur 10 Prozent Stimmrecht gegenüber den Männern. Gewalttätigkeit wird hart bestraft, die Kinder werden in Gymnasien nach spartanischem Vorbild erzogen.
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J.J.Wilhelm Heinse
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