Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
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Venedig von der Brenta sieht aus wie ein endlich sichrer Zufluchtsort von dem Lande weggeprügelter, und weggescheuchter furchtsamer Hasen; die sich hernach groß und zu geflügelten Löwen gemacht haben, als die Feinde ihnen übers Wasser nicht nach konnten, und sie von fern sicher sehen mußten. Eine unüberwindliche Festung ists gewiß, weil durch die Sümpfe nicht anders als kleine Barken anlanden können. Schön ist es nicht; die spitzen Thürme, und paar Kuppeln sind ein Elend gegen Rom, Neapel und Genua. Es ist ein unzukommlich Hafennest; aber eben weil es unüberwindlich, und unzukommbar ist, trägt es, vom unendlichen Meer umgeben, eine gewisse Majestät an sich. Näher sieht man nur kleine Fenster im verwirrten Gewühl und häßliche Mauern. Die Giudecca hat allein Grün und sieht lebendig aus; alles andre sieht aus wie auf einem platten Felsen im Meer gebaut; oder wenn man will wie hohe wunderbare Schiffe mit Ankern im Meer fest gehalten.

Die Venezianerinnen sind gewiß reizende Geschöpfe und ganz gemacht zur Wollust. All ihre schönen Gesichter haben etwas brennend süß gefälliges, und äußerst feines; besonders sind ihre Nasen schön, so wie bey den Römerinnen, die Augen. Die Form ihres Gesichts ist meistens länglicht. Sie haben eine sehr zarte Haut und ein blühend Kolorit, weil sie nicht in die Sonne kommen. So bald sie nur einen Jüngling ansehen, scheint eine bräutliche Schaamröthe um ihren Mund herum in einem wollüstigen Lächeln aufzugehen, als ob man sie schon vor dem Bette halb entkleidet vor sich hätte. Alles stimt auch bey ihnen auf den Hauptentzweck, die Wollust, bis auf ihre Gondeln, die die vollkommenste Lage zum bequemsten Genuß anbieten; einen weichen Polster für den Hintern, der den Wollusttheilen völligen Raum und alle Freyheit läßt, und zwey Bänke daneben, die Beine darauf auszubreiten. Jeder Ruck des Gondelführers mit dem Ruder ist ein Wolluststoß. Es ist das größte Unglück für sie, daß das Venerische Uebel hier eingedrungen ist, wofür sie sich nicht hüten können, und welches in der gesalzenen Luft gräuliche Verwüstungen anrichtet, besonders an den Nasen; und man sieht eine Menge ohne dieselben herum gehen. Der Rath läßt jedem in diesem Punkt Freyheit, und bietet sogar die Hand dazu. Die Nobili, die herrschen und den Hauptgenuß haben, müssen immer auf Zeitvertreib für ihre Unterthanen denken, damit sie in Ruhe bleiben.

Die Huren in Venedig sind ein Commerzartikel, und man schämt sich gar nicht zu ihnen zu gehen, oder welche zu halten. Jetzt sind sechszig Posten, jeden verkauft die Republik mit achtzig Zechinen, und er bleibt alsdenn bey dem Hause, so lange bis Niemand darin ermordet wird, oder andre Umstände den Rath nöthigen, den Posten zu versperren, und die Fenster mit eisernen Gittern zu verschränken. Der Hausherr bezahlt hernach alle halbe Jahr elf Zechinen an die Republik. Dafür darf er denn in einem Zimmer eine Hure halten, und sie muß ihm allezeit die Hälfte vom Gewinn geben. Er beköstigt dieselbe, und giebt ihr eine Magd zur Aufwartung, für Kleidung Frisur und alles andre muß sie selbst sorgen. Was die Venerische Krankheit betrift, muß er hierbey auf seinen eignen Vortheil denken, und seinen Posten in keinen üblen Ruf kommen lassen.
Wie schnell dieß abgewechselt werden muß, kann man leicht dadurch sehen, daß in dem Eckzimmer al ponte dei Assassini in einem halben Jahre allein fünfzehn Mädchen nach und nach deßwegen abgeschaft wurden. Die wohlgebildetern haben ihren Posten im zweyten Stock, und stehen oder sitzen im Fenster worin aber nie Glasscheiben seyn dürfen, um ihre Zimmer zu unterscheiden.
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J.J.Wilhelm Heinse
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