Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
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Die Masse des alten Vulkans erscheint hier fast noch ganz in monarchischer Majestät; und der jetzige feuerspeyende Gipfel liegt nur wie ein neuer Ausbruch wie ein junger Sohn im Schooß seines Vaters in dem großen Kreis der Somma, wovon die Hälfte oben versank. Wie ein Tyger oder eine fürstliche Chimäre liegt er unter den Bergen da, und der Dampf aus seinem ofnen Rachen ist schön gräßlich. An keinem ändern Orte möcht ich ihn Feuer speyen sehn; es muß ein wahres Bild rasender Hölle seyn. Unten liegen die Palästchen und Häuserchen von Portici und Resina mit ihren Menschen wie unschuldige Lämmer, die er sich zur Beute her geschleppt; und die alte Mutter das Meer zieht vergebens zärtlich rauschend mit ihren Wogen heran, sie zu retten.Der Torso ist das höchste von einem Ringerkörper; er ruht und sitzt auf seinem Löwenfell. Schönrer und vollfleischigerer Kernstärke, und alles in lebendigster Form abgewogen mit dem feinsten Wahrheitsgefühl, findet man nichts mehr übrig von alter Kunst. Er senkt die rechte Seite und hatte wahrscheinlich den linken Arm über den Kopf geschlagen. Das Brustbein ist so zart gehalten und mit sanfter Fettigkeit überzogen, daß man es kaum merkt. Brust und Schultern und Stärke vom Rücken herum sitzen über der schlanken Mitte ganz unüberwindlich und erdrückend. Die Schenkel sind lauter Mark. Alles ist an ihm in Fluß und Bewegung; und doch ists der allersanfteste Contur. Man sieht alle Theile und ihre Kraft und Stärke, und doch tritt kein Knochen scharf hervor. Es ist recht das höchste Vermögen in höchster Bescheidenheit und Schönheit. Das Ganze vom Laocoon zeigt einen Menschen der gezüchtigt und gestraft wird, und den endlich der Arm der Gerechtigkeit erreicht hat; er sinkt in die Nacht des Todes unter dem schrecklichen Gerichte, und um seine Lippen herum liegt noch Erkenntniß seiner Sünden. Ueber dem rechten Äug und dem weggezuckten Blick aus beyden ist der höchste Ausdruck des Schmerzens. Sein ganzer Körper zittert und bebt und brennt schwellend unter dem folternden tödtenden Gifte.

Seine Phisiognomie mit dem schönen gekräuselten Barte ist völlig griechisch, und aus dem täglichen Umgang von einem herrlichen Menschen weggefühlt, und drückt einen gescheidten Mann aus, der wenig ander Gesetz als seinen Vortheil und sein Vergnügen achtet, und der den besten Stand dazu in der bürgerlichen Gesellschaft gewählt hat. Voll Kraft und Stärke des Leibes und der Seele. Die zwey Buben werden mit umgebracht als Sproßen vom alten Stamme. Das ganze Geschlecht von ihm wird vertilgt. Es leidet ein mächtiger Feind und Rebell der Gesellschaft und der Götter und man schaudert mit einem frohen Weh bey dem fürchterlichen Untergang des herrlichen Verbrechers. Die Schlangen vollziehen den Befehl des Obern feyerlich und Naturgroß in ihrer Art, wie Legionen, die Städte verwüsten.
Das Fleisch ist wunderbar lebendig und schön; alle Muskeln gehen aus dem innern hervor wie die Wogen im Meer bey einem Sturm. Er hat ausgeschrieen und ist in dem Moment wieder Athem zu hohlen. Der rechte Sohn ist hin, der linke wird der Weile festgehalten, und die Drachen werden bald hernach mit ihm vollends kurzen Proceß machen.

Selbst die Schaamtheile des Alten richten sich empor von der allgemeinen Anspannung, Hodensack und Glied, doch ohne Schwellung. Die ganze linke Seite ist ein Wunder von Ausdruck; die Stellung wohl herausgefühlt; kurz es ist ein Non plus vltra in seiner Art. Die Söhne haben gerad so viel Ausdruck als ihnen gebührt, ohne dem Ganzen zu schaden. Der eine ist todt, und der andre leidet noch nicht und entsetzt sich bloß; der Alte zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. An seiner linken Hand
kommen mir die Finger ein wenig zu geknöchelt vor, so wie die Zehen an den Füßen; vielleicht solls Krampf von Schrecken
und Leiden und Anstrengung ausdrücken.
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J.J.Wilhelm Heinse
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