Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
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So werden in dieser Religion Aug und Ohr, und zusammen mit den starken Bildern aus der wirklichen Natur der ganze Mensch in gewaltiger Feier ergriffen, dass alle Nerven harmonisch dröhnen wie Saiten von Meistern auf wohlklingenden Instrumenten gespielt. Und alles wandelt in lauter Leben. Der ekstatische Rausch höchster Begeisterung ist der Höhepunkt des paradiesischen Lebens auf den glückseligen Inseln. Für den dionysischen Charakter des Ardinghello spricht auch die Tatsache, dass die beiden Höhepunkte des Romans, das römische Künstlerbacchanal und der naturmystische Gottesdienst auf den glückseligen griechischen Inseln, Szenen dionysischer Massenbegeisterung darstellen. Wie der erste Teil des Romans nach dem Bacchanal unvermittelt abbricht, so ist auch das beschliessende Inselparadies nicht von ewiger Dauer und dem Schicksal unterworfen:
"Doch vereitelte diess nach seeligem Zeitraum das unerbittliche Schicksal". Im Bild der Utopie endet Heinse die schriftstellerische Darstellung seiner dionysischen Lebensanschauung aus kraftgenialer Renaissancevorstellung und rousseauisch-naturmystischer Griechenverherrlichung. Wenn wir die Fortführung dieser Lebensauffassung in seinen Tagebüchern betrachten, müssen wir feststellen, dass Heinse zeitlebens an dieser dionysischen Utopie als einer geheimen Religion festhielt.
Wie bereits gesagt, haben Heinses Utopien keinen eigentlichen Wirklichkeitscharakter und somit auch keine lehrhaft politische Absicht. Doch Heinses Grundposition zum Leben und zur menschlichen Glückseligkeit war, wie es vielen seiner Tagebuchaufzeichnungen nachzulesen ist, durchaus wirklichkeitsnah; er war sich bewusst, dass die auf ihn lastenden gesellschaftlichen Konventionen und die persönliche Abhängigkeit von seinen Geldgebern ihn fest im Griff hatten. Seine kindlichen Phantasien und wirklichkeitsfremden Träume seit seiner Jugend bedeuten für Heinse die wahren Paradiese seiner menschlichen und künstlerischen Existenz. Sie lassen sich in seinen Tagebuchaufzeichnungen (Notizheft Nr. 27) nachlesen:
Der Grundtrieb beym Menschen ist gewisse Freude, Lust oder süßes Gefühl. Die Art aber es zu erreichen, ist verschieden. Macht Gewalt oder Kraft, Schönheit zu genießen, geht allem anderen voran.
Dann kömmt Weisheit, oder Erfahrung mit Überlegung. Immer das Höchste zu finden, und sicher im Besitz zu erhalten. Liebe endlich ist der Genuß selbst, der allezeit mit Schöpfung verbunden sein muß, wenn er der höchste sein soll. Alles dreyes beysammen gehört zur Vollkommenheit des Menschen; schier wie Zeichnung, Kolorit und Licht und Schatten zu einem vollkommnen Gemälde .
Gute Tafel, schöne Weiber und Gegend, gute Gesellschaft, Künste und Wissenschaften bey Sicherheit von innen und außen, darin [liegt] das Glück des Menschen.
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J.J.Wilhelm Heinse