Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
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     Eine bedeutende Inspirationsquelle ist der Roman Heinses auch für Friedrich Hölderlin, der dem zwanzig Jahre älteren, schon allgemein anerkannten Schriftsteller 1796 auch persönlich begegnet. Mit Heinse nahe befreundet ist nämlich seine Diotima, Susette Gontard, die Frau des Frankfurter Bankiers, in dessen Haus Hölderlin als Hofmeister beschäftigt ist (es ist vielleicht nur ein Zufall, doch Heinse bekommt seinen ersten Schlaganfall im Juni 1802, ein paar Tage nachdem ihn die Nachricht vom Tode Susette Gontards erreicht hat). Im August 1796 schrieb Hölderlin seinem Bruder:

     „Auch HE. Heinse, der berühmte Verfasser des Ardinghello, lebt mit uns hier. Es ist wirklich ein durch und durch trefflicher Mensch. Es ist nichts Schöneres als so ein heitres Alter, wie dieser Mann hat“[25]. Im biographischen Roman Peter Härtlings Hölderlin ist es eben die gemeinsame Lektüre des frivolen Werkes von Heinse, die bewirkt, dass Frau Gontard, die sich einen Augenblick mit der „emanzipierten“ Fiordimona identifiziert, den zurückhaltenden und schüchternen, in sie hoffnungslos verliebten Dichter verführt. Die Szene ist natürlich nur literarische Fiktion, sie vergegenwärtigt allerdings sehr anschaulich die Rolle eines eigenartigen Requisites, die das Buch damals in Salons des literarische Novitäten aufmerksam verfolgenden Bürgertums gespielt haben mag. Ein Zitat aus Ardinghello lässt Hölderlin bereits 1790/1791 seiner Hymne an die Göttin Harmonia vorausgehen und zehn Jahre später dediziert er gerade Heinse die 1800/1801 entstandene berühmte Elegie Brot und Wein. Auch in Hyperion, dessen Handlung Hölderlin zum großen Teil auf etwas idealisierten griechischen Inseln verortet, finden wir einige Motive, die eine gewisse Verwandtschaft mit Ardinghello aufweisen, wie etwa das eskapistische Verlangen, „in ein heilig Tal der Alpen oder Pyrenäen uns zu flüchten, und da ein freundlich Haus und auch von grüner Erde so viel zu kaufen, als des Lebens goldene Mittelmäßigkeit bedarf“[26] oder die Betrachtungen über eine ideale Staatsordnung, „die heilige Theokratie des Schönen (...) in einem Freistaat“[27], die in dem von türkischem Joch befreiten Griechenland herrschen sollte.

     Was jedoch Hölderlin an Heinse am stärksten faszinierte, waren wohl seine religionsphilosophischen Konzeptionen, die dieser den zwei im Pantheon diskutierenden Freunden, Ardinghello und Demetri, in den Mund gelegt hat. Der Glaube, „dass Gott die ganze Natur selbst sei“, erweist sich dabei als „der älteste“[28] und ehrwürdigste. Die Materie ist vom „Äther“ durchdrungen und wird auch von ihm regiert (Heinse zitiert hier Euripides und Aristophanes). Dieser „Vater Äther“ wird mit Gott gleichgesetzt, dem „Lebengeber“[29], der Weltseele[30], dem „Wesen der Wesen“[31], die das All umfängt und zusammenhält. Die Scheidung der vier Elemente ist der Anfang der Zeit, doch die Welt bleibt Eins und der Mensch entdeckt in sich eine tiefe Verbundenheit mit ihr: „Eines jeden Gefühl muß ihm sagen, daß er etwas Getrenntes von einem Ganzen ist und daß er sucht, sich wieder mit demselben zu vereinigen“[32]. Dieses pantheistische und hylozoistische Weltbild ist natürlich keine Originalerfindung Heinses, er schöpft vielmehr reichlich aus der Tradition der antiken Philosophie (Aristoteles, Anaxagoras), wobei er nur etwas zum Ausdruck bringt, was ohnehin „in der Luft liegt“. Insbesondere in Deutschland, denn nirgendwo sonst war wohl die Faszination für Spinozas Denken so stark und nirgendwo sonst wurde darüber so heftig diskutiert. Die 1785 von Friedrich Heinrich Jacobi veröffentlichte Broschüre Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, die den Spinozismus Lessings demaskieren sollte, hatte eine der lebhaftesten intellektuellen Polemiken jener Zeit ausgelöst und das Interesse für die Weltanschauung des holländischen Denkers wiederbelebt. Nicht ohne Recht wird Heinrich Heine ein halbes Jahrhundert später den Spinozismus die „verborgene Religion Deutschlands“ nennen.

     Auch Hölderlin schöpft aus unterschiedlichen Quellen, doch Ardinghello ist zumindest ein wichtiger Katalysator, der sein Interesse für Pantheismus und mit ihm verwandte philosophische Konzeptionen fördert. Der Roman legt ihm offensichtlich auch gewisse Begriffe nahe, wie etwa jenen „Äther“, den er – in einer der ersten, 1795 entstandenen Fassung des Hyperion – „das Ebenbild unsers Geistes“[33] nennt und später – in der Hymne An den Aether aus dem Jahre 1797 – den „Vater“, der dem Menschen „den heiligen Othem zuerst in den keimenden Busen“ gießt[34]. Hölderlin ist auch die Meinung Heinses von seinem Roman offenbar nicht gleichgültig: „Heinse, der Verfasser des Ardinghello, hat bei Dr. Sömmering sich sehr aufmunternd über Hyperion geäußert“[35], schreibt er am 2. November stolz seinem Bruder. Tatsächlich, in seinem Brief an Sömmering vom 2. Oktober 1797 meint Heinse: „Hyperions Briefe sind voll lebendiger Empfindung und tiefem Gefühl. Er ist ein Apostel der Natur. Es sind Stellen darin, so warm und eindringend, dass sie selbst den alten Kant ergreifen und von seinem bloßen Schein aller Dinge bekehren sollten“[36]. Ein paar Tage später, was Hölderlin wahrscheinlich nicht mehr weiß, verwässert er etwas dieses Lob etwas: „Was den Hyperion
betrifft, so darf man bei einem angehenden Schriftsteller nicht strenge sein. Zarter Sinn und Gefühl für Schönheit der Natur ist darin unverkennbar
und lebhafte Darstellung derselben. An Komposition poetischer Wahrscheinlichkeitscharaktere ist er bis jetzt freilich noch ein ziemlich
ungelecktes Bärlein“[37].
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J.J.Wilhelm Heinse
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