Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
Seite
vor
zurück
vor
zurück
Heinses Reise finanzieren teilweise Gleim und Johann Heinrich Jacobi. Doch der Schriftsteller verfügt nur über sehr beschränkte Mittel. Er wandert meist zu Fuß, „glückselig, wie wenige Menschen es sein können; gesund und hell und frisch“, denn „es geht doch nichts über einen Reisenden zu Fuß mit fröhlichem Mut und heitrer Seele und Stärke und Munterkeit in den Gelenken, der seinen Reisebündel selbst trägt wie Pythagoras und Plato“[6]. In Italien, das er über die Schweiz und Provence erreicht, verbringt er zwei Jahre und bis an sein Lebensende wird er dann bedauern, sich dort nicht auch häuslich niedergelassen zu haben. Er besucht Genua, Padua, Modena, Venedig, wo er ein halbes Jahr bleibt, Florenz, Siena und endlich auch Rom. Im Juli und August 1782 hält er sich in Neapel auf, doch auf die ersehnte Reise nach Griechenland muss er aus Geldmangel verzichten. Im September 1783 kehrt er nach Düsseldorf zurück.
Die wichtigste Frucht dieser Reise ist Ardinghello und die glückseligen Inseln, ein 1787 zum ersten Mal herausgegebener, ziemlich locker komponierter Roman, dessen abenteuerliche Handlung mit allerlei Beschreibungen von Kunstwerken, philosophischen und ästhetischen Diskussionen sowie Erwägungen über Religion und Politik reich durchwirkt ist. Sein Titelheld ist nicht nur ein wahrer Renaissancekünstler, der sich erfolgreich in Malerei, Musik und Dichtung versucht, sondern auch eine Art „Superman“, romantischer Abenteurer, unerschrockener Rächer seines Vaters, Befreier wehrloser, von Korsaren entführter Frauen, glücklicher Liebhaber, Politiker von weitem Horizont, endlich auch selbst Korsar und Gründer eines Idealstaates auf jenen schon im Titel erwähnten „glückseligen Inseln“, wo eine Handvoll Auserwählter, die sich der Fesseln der christlichen Moral entledigt haben, beschließt im Einklang mit der Natur und eigenen Überzeugungen zu leben. In dieser utopischen Republik herrscht eine allgemeine Gütergemeinschaft, die Ehe wird durch freie Liebe ersetzt und an Stelle des Christentums baut man einen Naturkult auf, der Elemente des Pantheismus und Hylozoismus in sich vereinigt, wobei sich Ardinghello selbst zu einem seiner Hauptpriester macht. Über die Angelegenheiten der Gemeinschaft dürfen auch Frauen mit entscheiden, die nicht „als bloße Sklavinnen“[7] behandelt werden; freilich erweist sich Heinse in dieser Frage als eher vorsichtiger Revolutionär, indem er bereit ist, ihnen lediglich zehn Prozent der Stimmen „in Vergleich mit den Männern“[8] zuzuerkennen.
Wie die meisten derartigen Projekte aus dem 18. Jahrhundert – so etwa auch der Roman des Polen Ignacy Krasicki „Die Abenteuer Doswiadczynskis"[9] (1775) – trägt Heinses Traumrepublik viele Züge eines Staates, den wir heute als beinahe totalitär ansehen würden: Männer und Frauen leben grundsätzlich getrennt, Kinder gehören dem Staat, nach dessen Zielen sich auch alle „Tugenden und Künste“ zu richten haben[10]. Dieser Staat führt übrigens eine höchst aggressive Politik. Raubzüge und der Handel bringen ihm Sklaven und Sklavinnen, innerhalb weniger Jahre unterwirft er einen Teil der griechischen Inseln, und Ardinghello kann mit Stolz schreiben: „Bei den Griechen rotteten wir in gesellschaftlichen Gesprächen bald den Aberglauben aus und verschafften ihren Geistlichen auf anständigre Weise Unterhalt“[11].Ardinghello brachte Heinse Ruhm und Beliebtheit – wie ihm selbst unwohlwollende Kritiker bezeugen – beide freilich von ziemlich kurzer Dauer. Doch es war wieder jener etwas zwielichtige Ruhm eines Pornographen und Skandautors. Der Roman enthielt nämlich– für jene Zeit – ungewöhnlich gewagte Beschreibungen von erotischen Abenteuern seiner Helden. Diese Zügellosigkeit hatte allerdings ihre Grenzen: Bevor eine Gruppe leidenschaftsgetriebener Künstler und sie begleitender Freundinnen sich bacchantischen Tänzen hingibt, wird „ein feierlicher Vertrag“ geschlossen, „nichts Schändliches zu beginnen und die Leidenschaften bis ans lange Ziel gleich olympischen Siegern im Zügel zu halten, wie's braven Künstlern gezieme“[12]. Tatsache ist es aber auch, dass man, als in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts einige „extremindividualistischen Berliner Sozialisten“[13] beschlossen, den Roman in einer gekürzten, von den langweiligen Beschreibungen und ästhetischen Ausflügen des Autors gereinigten Fassung wieder herauszugeben, doch das Projekt... wegen des Eingriffs eines Staatsanwalts aufgeben musste.
J.J.Wilhelm Heinse