Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
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Der Romanautor Heinse ist unvermittelter, traditioneller, mehr dem pointierten Einfall in seiner Demonstration als der Ideenvermittlung mittels Kompositionstechnik und Charakterdifferenzierungen verpflichtet. Ein dem heutigen Leser eher archaisch anmutendes aufklärungskonformes Nebeneinander von Prodesse et Delectare, das nicht einmal mit den reflexiven Raffinessen jüngerer Dichterkollegen, wie etwa Hölderlin, konkurriert, geschweige denn mit romantischen Ambivalenzen und Figurenpsychologie aufzuwarten weiß. Heinses Romane sind Thesen-Romane, bevölkert mit Figurentypen, die die Sprachröhren ihres Autors sind, der seine philosophischen und ästhetischen Ansichten aufzeigt.
Darüber bricht die Nachwelt schnell den Stab, so daß - bis auf den am besten lesbaren, mit buntem Abenteuerspektakel und erotischen Phantasien durchsetzten Ardinghello - auch Fachleuten der Literatur diese Bücher nur noch dem Titel nach bekannt sind. Doch hilft - die Anmerkung sei auch für den Romancier Heinse gestattet - eine genauere Kenntnis der beiden späten Werke, Hildegard von Hohenthal und Anastasia und das Schachspiel, nicht nur das Weltbild und Selbstverständnis des Mannes, den wir heute ehren, zu vervollständigen. Beide Texte geben auch Literaturgeschichtsschreibern Gelegenheit, die Kapitel zum Prosaschaffen um 1800 differenzierter zu fassen: Beide Texte sind in ihrer poetischen Eigenwilligkeit und fragmentarischen Form ebenso der Kategorie ,,Romanexperimente” zuzurechnen, wie Hölderlins ,,Hyperion”, Novalis‘ ,,Heinrich von Ofterdingen” oder Brentanos ,,Godwi”. Sie alle sind - groß gesprochen - Zeugnisse poetischer Exzentrizität als Antwortsuche des Individuums nach dem Bankrott der Großen Ideen - nach Aufklärungskritik, Säkularisation und Revolutionsideologie.

Dabei fallen Heinses Figuren aus dem poetischen Mainstream heraus. Seine Romanhelden sind keine Sonderlinge, wie sie bei Wezel und Jean Paul, Eichendorff, Keller oder Storm auftreten. Wirken Heinses Geschöpfe auch recht blutarm, so eignet ihnen doch der Status von Geistesaristokraten, die sich zwar der Maske der Mittelmäßigkeit inmitten ihrer mediokrenen Umgebung bedienen, doch niemals würden sie sich eine Narrenkappe aufstülpen.
Dies weist auf überdeutlich auf das Welt- und Selbstverständnis ihres Schöpfers hin. In seinen geheimen Notizheften und Tagebüchern problematisiert Heinse das in den Romanen eher verrätselte Spannungsverhältnis, das sein Leben prägt, mit oft äußerster Radikalität. Die Notate geben Zeugnis von lebenslangen Versuchen, seine geistige Autonomie zu behaupten, ohne mit der gesellschaftlichen Konvention zu brechen, auf die ein ewiger Kostgänger (ob als Hauslehrer, ob als von Freunden zu alimentierender Logiergast und reisender Literat oder ob als kurfürstlicher Hofrat, Vorleser und Bibliothekar) bei Gefahr des Existenzverlustes verpflichtet ist.
Niemals flüchten sich die starken Persönlichkeiten seiner Romane, wenn sie nicht gerade Erfüllung im Kreise Gleichgesinnter und Gleichgestimmer finden in Schrulligkeiten - eher in Misanthropie, Zynismus oder Verstellung. Heinse, der wohl nur einen einzigen wirklichen Freund besaß, den berühmten Anatomen Samuel Thomas Soemmerring, flüchtet ins Schweigen. Ein Schweigen, das er so konsequent aufrechthält, weshalb ihn Zeitgenossen wie der Weltreisende Georg Forster und der Historiker Johannes von Müller einfach für menschenscheu halten.
Zu Recht ist von der Forschung festgestellt worden, daß das innere und das äußere Leben Wilhelm Heinses mit zunehmender Lebensalter immer beziehungsloser nebeneinander verlaufen seien. ,,Ein Mann von großer Seele ist sich selbst genug”, steht in seinen Selbstzeugnissen an exponierter Stelle.
Sicher, auch dem aufmerksamen Leser seiner Schriften fällt wohl eher der Kunst und Literatur revolutionierende Vorzug
des Dichters als Heinses sozialer Rückzug auf - mehr die unerbittliche Konsequenz als die persönliche Tragik dieser
Biographie.
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J.J.Wilhelm Heinse
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