Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
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Zugegeben, das sind große Namen, doch ist der Tatbestand der gleiche:
Wenn also Heinse großenteils und streckenweise auch ,,zu Unrecht” vergessen worden ist, und wenn er aus dem Gros der Wald-und-Wiesen-Dichter Deutschlands hoch heraus ragt, dann muß es darauf auch eine andere, die für einen Künstler einzig gemäße Antwort geben - die auf die Frage nach kreativer Eigenständigkeit, nach ästhetischer Spannung und künstlerischem Tabubruch - kurz: nach der Unzeitgemäßheit seiner Zeitgenossenschaft.
Bezeugt haben diese Unzeitgemäßheit für Heinse - Sie wissen schon: der typische Geheim-
tip unter meist noch nicht arrivierten Kunstfreunden (das muß man gelesen, gehört, gesehen haben) - bezeugt haben dies durch alle literarischen Epochen hindurch immer jene, welche sich selbst zur Avantgarde rechneten: Vom erwähnten Werther-Autor über Hölderlin und Tieck, Friedrich Schlegel zu Arnim und Brentano, von den Vertretern des Jungen Deutschland zu Friedrich Hebbel bis Arno Schmidt. Denn avantgardistisch war Wilhelm Heinse auf vielen Gebieten.
Sein zweiter Roman Ardinghello begründet das Genre des Künstlerromans in der deutschen Literatur, wird zum Vorbild für Wackenroder und Tieck, Keller und Conrad Ferdinand Meyer. In den Romanen Friedrich Schlegels und Karl Gutzkows hinterläßt Heinses Plädoyer der befreiten Sinnlichkeit seine Spuren, und nebenbei trägt der Roman seinen Teil zum Entstehen eines ersten Renaissance-Verständnisses unter den Deutschen bei.
Die frühe Übersetzung des römischen Satirikers Petronius ist bis auf den heutigen Tag maßgebend geblieben. In den Readern und Reihen zur Dichtkunst der Antike steht der Übersetzername Wilhelm Heinse ebenso selbstverständlich unter Petron, wie derjenige Johann Heinrich Vossens unter den Übertragungen der Epen Homers. Auch Heinses Schaffen als Musikschriftsteller darf als Markstein innerhalb der Geschichte dieser Gattung bezeichnet werden, und er behauptet sich in seiner Eigenheit durchaus neben den Reichardt, Hoffmann oder Hanslick.
Innovativ aber ist Heinse vor allem in seiner Kunstschriftstellerei, die in Auseinandersetzung mit den tonangebenden zeitgenössischen Theoretikern Winckelmann, Lessing, Herder entsteht. Mit den Düsseldorfer Gemäldebriefen in denen er - lange vor Jakob Burckhardt - den Maler Peter Paul Rubens wieder- und neuentdeckt, setzt er gut ein Dutzend Jahre zuvor das um, was der Romgefährte Goethes, Karl Philipp Moritz mit theoretischer Entschiedenheit für seine Zeit einfordern wird: der Bilderkunst mit einer neuen literarischen Kunst zu begegnen. Mit seiner Beschreibungskunst, der dezidierten Literarisierung des Tafelbildes und auch mit der Beschreibung der Plastik bringt Heinse selbst neue Kunstwerke hervor. Dabei ist seine Ästhetik durch Autopsie am Kunstwerk entwickelt und nicht im Himmel der Spekulation gewonnen.
So bemerkt er gelegentlich einer Unterscheidung, wie sie z. B. Herder vornimmt, Malerei sei fürs Auge, Plastik fürs Gefühl, erfrischend unakademisch: ,,Im Gesicht ist eben so viel Wahrheit als im Gefühl; so hat einer im Finstern einen Hintern für die Wange seines Mädchens geküßt.”
Der aktuelle Brockhaus stellt Heinse in eine Reihe mit solchen Vertretern des deutschen Aphorismus, wie Lichtenberg, Goethe, Friedrich Schlegel, Schopenhauer, Nietzsche, Karl Kraus und Ernst Jünger.
Doch ist seine aphoristische Denkart nicht unwesentlich daran schuld, wenn Heinses Romane nicht das organische Ineinandergreifen von sinnlichem Leben und theoretischen Erörterungen widerspiegeln, wie es die traditionelle Kritik etwa
bei Goethe und den Romanciers des neunzehnten Jahrhunderts schätzt - etwa bei Fontane, der aus theoretischem
Horizont und gesellschaftlichem Milieu oft ein Beziehungsgefüge zwischen Mann/ Frau flicht (was ihn bis heute die
Sympathie der Leser sichert).
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J.J.Wilhelm Heinse
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