Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
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Verehrte Zuhörer, lassen Sie mich als zuletzt dieses ereignisreiche Leben, das ich Ihnen nahe zu bringen versucht habe, in einen etwas weiteren Rahmen stellen. Maler Müller gehörte zu einer Generation, die – ausgehend von der aufklärerischen Idee von der Gleichheit aller Menschen – den Künstler nicht mehr als Teil der Dienerschaft der Fürstenhöfe akzeptieren wollte, sondern für ihn eine geistig-künstlerische Führerschaft in der Gesellschaft beanspruchte. Viele Künstler seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wehrten sich gegen die alten Rollenzuweisungen in der Hofdienerschaft und die daraus erwachsenden Zwänge, und sie wollten nicht länger Huldigungsgedichte an Geburtstagen der Herrschaften, Krönungsmessen, Geburtstagskantaten oder repräsentative Porträts ihrer Brotherren abliefern. Die Forderung nach dem, was man programmatisch den ‚freien Künstler’ nannte, der nur seinem Genius folgen wollte, barg jedoch hohe Risiken in sich. Bereits Lessing hatte einen derartigen Versuch trotz der Warnungen seines Vaters gewagtt, scheiterte damit aber mehrfach und endete als Bibliothekar eines Herzogs, der ihm untersagen konnte, weiterhin theologische Streitschriften zu veröffentlichen. Mozart ist es ähnlich ergangen. Als er die entwürdigende Behandlung durch den Salzburger Erzbischof Colloredo nicht mehr ertragen wollte und offen seinen Abschied forderte, warf man ihn mit einem Fußtritt aus der Residenz; seine intensiven Versuche, in Wien von Subskriptionskonzerten auf eigene Rechnung in einer Zeit zu leben, die noch kein Schutz des Urheberrechts gekannt hat, sind letztendlich fehlgeschlagen; und so endete er in einem namenlosen Armengrab. Müllers Leben weist manche Parallelen zu solchen Versuchen einer eigenständigen künstlerischen Existenz auf: Als Heinse ihm mitteilte, dass er Chancen habe, beim Mainzer Erzbischof eine Lebensstelle zu erhalten, warnte ihn Müller vor diesem Schritt und forderte ihn auf, nach Rom zu kommen, wo man zwar wirtschaftlich beengt, aber doch befreit von der ständigen Untertanenrolle leben könnte. Aus heutiger Sicht unterlag er dabei einer Selbsttäuschung, wenn man die immer wieder vorgetragenen Bitten um Verlängerung oder gar Erhöhung seiner Jahrespension als Kabinettsmaler und um Ankäufe seiner Bilder in Rechnung zieht, die seinen siebenundvierzigjährigen Aufenthalt in Rom begleitet haben. Zwei letzte Zitate aus Schreiben Müllers sollen Ihnen diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität noch einmal vor Augen führen, sie sollen belegen, mit welchem Anspruch Friedrich Müller angetreten war und wie er sich letztlich doch wieder in die traditionelle Bücklingshaltung vor Fürstenthronen hineinfinden musste.

Das erste Dokument ist ein Brief Müllers an Heribert von Dalberg, den hochgestellten Kammerherrn des Kurfürsten. Dieser Brief stammt aus der Zeit unmittelbar vor der Abreise nach Rom, er ist gleichsam auf gleicher Augenhöhe gehalten:

„Teuerster, Liebster,

Ein wenig Sie lieben soll ich, sagten Sie in Ihrem letzten Schreiben an mich – und ich liebe Sie über alle Maßen – mein Herz fühlt so eine süße Freude in Ihrer Gesellschaft, alles, was Sie tun, hat so ganz das Gepräge des braven Mannes, dessen Tun und Wirken ein wahres Vergnügen ist (...) Wann kommen Sie hier an, vorgestern lauerte ich gewaltig und gestern auch, dreimal war ich an dero Wohnung, leider dreimal umsonst.

Ich bitte Sie nicht um wenig – um recht viel Liebe bitte ich und bleibe mit dem wärmsten Herzen

dero ganz ergebenster Müller.“
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J.J.Wilhelm Heinse
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