Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
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Ich stelle Ihnen den Text in aller Kürze vor:
Ein Bauer, Walter mit Namen, sitzt auf einem Schemel und schert seinen Schafen das Winterfell ab. Er hat zwei Töchter; die ältere, Lottchen, betrachtet er mit Wohlgefallen, weil sie seine Ansichten teilt, an Gundel dagegen, der jüngeren, hat er viel auszusetzen. Denn sie hält das bäuerliche Brauchtum und das volkstümliche Erzählgut im Dorf für altmodisch und sympathisiert offen mit den Ansichten des Dorfschulmeisters, der sie für die Moden des Rokoko begeistert und Lieder lehrt, in denen eine tändelnde Schäferwelt gezeigt wird, garniert obendrein mit üppigen Zitaten aus antiken Texten, weitab also von dem, was sich in der bäuerlichen Wirklichkeit abspielt. Johann Gottfried Herder hat wenige Jahre vor der Entstehung von Müllers Text einen kritischen Aufsatz mit dem Titel „Theokrit und Gessner“ veröffentlicht und dabei über die Schäferwelt des Schweizer Dichters gesagt:
„Lauter Schäferlarven, keine Gesichter: Schäfer, nicht Menschen. Statt zu handeln, beschäftigen sie sich, singen und küssen, trinken und pflanzen Gärten.“
Auch unser Bauer hält nicht hinter dem Berg, wenn er das lyrisch-verspielte Gesäusel des Schulmeisters, die Karikatur eines Bildungsphilisters, anhören muss, während er – einen Hammel zwischen den Knien – bei der Arbeit voranschreitet:
„Possen, Gevatter, Possen,“ fährt er den Lehrer auf gut pfälzisch an, „wo gibt’s dann Schäfer wie die? Was? Das Schäfer? Das sind mir kuriose Leute, die weiß der Henker, wie leben; fühlen nicht wie andre Menschen Hitze und Kälte, hungern oder dürsten nicht; leben nur von Rosentau und Blumen und was des schönen, süßen Zeugs noch mehr ist, das sie bei jeder Gelegenheit einem so widerlich entgegenplaudern (...)“
Befremdlich mutet es uns Leser allerdings an, wenn unser Schafe scherender Bauer, dem doch eine unverstellte Darstellung des Handelns und auch Denkens im Dorf so sehr am Herzen liegt, sich an einer Vergangenheitsharmonie bäuerlichen Lebens ausrichtet, das es in der Realität so sicher nie gegeben hat.
Noch ein Zitat als Beleg hierfür:
„(...) Fällt mir doch immer ein, wie meine Voreltern geschoren. Das war eine Fröhlichkeit, und was braucht man so weit zu gehen, les‘ man nur in der Bibel nach, da wards auch so gehalten mit Schäfer-Festen und Singen, wenns Zeit Scherens war und die Schäfer allerorten zusammen kamen, bei Laban und Jacob (...)“
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J.J.Wilhelm Heinse