Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
Seite
vor
zurück
vor
zurück
 An Heinse

Rings um ruhet die Stadt; still wird die erleuchtete Gasse,
        Und, mit Fackeln geschmückt, rauschen die Wagen hinweg.
Satt gehn heim von Freuden des Tags zu ruhen die Menschen,
        Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt
Wohlzufrieden zu Haus; leer steht von Trauben und Blumen.,
        Und von Werken der Hand ruht der geschäftige Markt.
Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vielleicht, daß
        Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann
Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen
        Immerquillend und frisch rauschen an duftendem Beet.
Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Glocken,
        Und der Stunden gedenk rufet ein Wächter die Zahl.
Jetzt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf,
        Sieh! wie das Schattenbild unserer Erde, der Mond,
Kommet geheim nun auch; die Schwärmerische, die Nacht, kommt
        Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns,
Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen
        Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf.

Wunderbar ist die Gunst der Hocherhabnen und niemand
        Weiß, von Wannen und was einem geschiehet von ihr.
         So bewegt sie die Welt und die hoffende Seele der Menschen,
        Selbst kein Weiser versteht, was sie bereitet, denn so
Will es der oberste Gott, der sehr dich liebet, und darum
        Ist noch lieber, wie sie, dir der besonnene Tag.
Aber zuweilen liebt auch klares Auge den Schatten
        Und versuchet zu Lust, eh' es die Not ist, den Schlaf,
Oder es blickt auch gern ein treuer Mann in die Nacht hin,
        Ja, es ziemet sich, ihr Kränze zu weihn und Gesang,
Weil den Irrenden sie geheiliget ist und den Toten,
  Selber aber besteht, ewig, in freiestem Geist.
Aber sie muß uns auch, daß in der zaudernden Weile,
 Daß im Finstern für uns einiges Haltbare sei,
Uns die Vergessenheit und das Heiligtrunkene gönnen,
                 Gönnen das strömende Wort, das, wie die Liebenden,
 sei,Schlummerlos und vollern Pokal und kühneres Leben,
                 Heilig Gedächtnis auch, wachend zu bleiben bei Nacht.
 Friedrich Hölderlin: Brod und Wein
(alte Fassung)
wilhelm_heinse001014.jpg wilhelm_heinse196003.jpg wilhelm_heinse004004.jpg wilhelm_heinse196002.jpg wilhelm_heinse046003.jpg wilhelm_heinse001008.jpg wilhelm_heinse001012.jpg wilhelm_heinse046002.jpg wilhelm_heinse001010.jpg wilhelm_heinse100002.jpg
J.J.Wilhelm Heinse
wilhelm_heinse001001.jpg