Mutter Erde! Tränk in meiner Aue
Deine Kinder nun mit frischem Thaue,
Und erquicke diese lechzende Flur!
Selig ist der Unschuld die Natur!
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Gert Theile - Rebellion und Schweigen.
Festansprache zum Heinse- Jahr (14. 06. 2003, Langewiesen)
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
,,Damit ein Ereignis Größe habe, muß zweierlei zusammenkommen: der große Sinn derer, die es vollbringen, und der große Sinn derer, die es erleben.”
Mit diesen Worten des nicht allzuweit von hier im kleinen Orte Rökken geborenen und da auch begrabenen Friedrich Nietzsche aus seinem Buch unzeitgemäßer Betrachtungen vom Jahre 1876 wollen wir uns eingangs auch dem Ereignis Johann Jacob Wilhelm Heinse aus Langewiesen nähern, dessen Schreiben hundert Jahre bevor Nietzsches Worte fielen, durchaus als großes Ereignis gefeiert wurde - und zwar von keinem Geringeren als dem fast altersgleichen Johann Wolfgang Goethe, während schon eine Generation später der Dichter Heinse keines mehr war, oder höchstens nur noch als peinlicher Vorfall der Literaturgeschichte gehandelt wurde.
Begraben fern der Heimat und vergessen von den meisten Vertretern des gelehrten Deutschland war es Konsens, ihn als Randfigur einer Zeit zu sehen, die der entlaufene Romantiker Heinrich Heine mit frecher Treffsicherheit die Wolfgang Goethesche Kunstperiode taufte, und die die Nachgeborenen etwas schlichter Goethezeit nennen lernten. Denn schließlich heißt ein Phänomen benennen auch, seiner habhaft zu werden.
Er habe mit seinem Romanerstling Laidion oder die Eleusinischen Geheimnisse gleichsam “Hunderten das Wort vom Maule genommen” hatte sich der damalige Star der literarischen Szene Goethe so enthusiastisch wie stilgewandt lutherisch über den achtundzwanzigjährigen Heinse geäußert, ihm gratuliert und gewünscht, er hätte das kleine philosophische Geistergespräch mit den so sinnlichen Schlußversen selbst geschrieben. Nicht lange nach Heinses Tod aber lautet das lapidare Urteil des damaligen Literaturpapstes Gervinus über den bekanntesten Roman Heinses: ,,Den Ardinghello halb gelesen. Pfui!”
Was war passiert?
Für Gervinus, den Verfasser einer Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen, für den die deutsche Poesie mit dem Alten von Weimar ihren Höhepunkt und ihr Ende erfahren hatte, schien Goethes Lob der frühen Jahre wenig maßgeblich. War Heinse vielleicht - um mit Nietzsche zu sprechen - mit den Jahren der ,,große Sinn” abhanden gekommen oder ermangelte dem germanistischen Patriotismus vielleicht der Sensus, um Wilhelm Heinses Lebenswerk entsprechend zu würdigen?
Hier, unweit Weimars, im Schlagschatten der deutschen Klassik, soll wenigstens auch auf eine unglückliche Fügung, der Heinses fehlender Nachruhm geschuldet ist, verwiesen werden. Der vom jugendlichen Stürmer Goethe bewunderte Heinse hatte schließlich mit seinen Romanen den sich um gebändigt-maßvolle Formen bemühenden Dichtern des Weimarer Musenhofes nicht mehr ins eigene Konzept gepaßt: Eine autobiographische Goethe-Äußerung und eine Fußnote in Schillers poetologischem Programm boten nicht wenigen Literaturverwaltern des neunzehnten Jahrhunderts Grund genug, den Dichter im Abseits eines klassizistisch orientierten nationalen Kulturspiels auszumachen.
J.J.Wilhelm Heinse